Dieselfahrverbote – das OVG Münster sieht es differenziert

Wir hatten hier schon mehrfach über dieses Thema berichtet (für die erstinstanzliche Entscheidung Köln betreffend: hier), für den Ablauf der Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster hier und hier.

Nun gibt es eine erste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster bzgl. der Stadt Aachen.

Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster ist der Luftreinhalteplan vom 01.01.2019 für die Stadt Aachen ist rechtswidrig; das Land Nordrhein-Westfalen muss ihn deshalb fortschreiben.

Ob und wann es in Aachen tatsächlich zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge kommen wird, ist jedoch derzeit offen.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das von der Deutschen Umwelthilfe erstrittene erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen1 im Ergebnis bestätigt und dabei allgemeine Anforderungen an Luftreinhaltepläne festgelegt. Diese müssen insbesondere (vorsorglich) zusätzliche Maßnahmen wie etwa Fahrverbote für den Fall bereithalten, dass die Grenzwerte mit den bisherigen Maßnahmen entgegen der Prognose nicht schnellstmöglich eingehalten werden (Wirkungskontrolle).

An verschiedenen Messstellen in der Stadt Aachen ist der seit dem 01.01.2010 einzuhaltende Grenzwert für Stickstoffdioxid (im Jahresmittel 40 Mikrogramm pro Kubikmeter) nicht eingehalten. Die zuständige Bezirksregierung Köln hat einen Luftreinhalteplan mit Wirkung ab 01.01.2019 aufgestellt, der verschiedene Maßnahmen enthält, um die Luftqualität in Aachen zu verbessern. Fahrverbote hat sie nicht vorgesehen.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hält diesen Luftreinhalteplan für unzureichend:

Die gesetzlichen Grenzwerte für Stickstoffdioxid sind verbindlich, auch wenn sie fachlich nicht unumstritten sind. Die Anbringung der Messvorrichtungen in Aachen hält sich im Rahmen der gesetzlichen Bandbreite (Höhe, Abstände zu Straßen und Gebäuden). Auch durch zulässige Ortsveränderungen sind keine wesentlich anderen Messergebnisse zu erwarten.

Der Luftreinhalteplan der Stadt Aachen ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster rechtswidrig, weil die darin vorgesehenen Maßnahmen nicht den Anforderungen der Europäischen Richtlinie 2008/50/EG vom 21.05.2008 und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genügen. Danach müssen die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans geeignet sein, den Zeitraum der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts „so kurz wie möglich“ zu halten. Deshalb muss die zuständige Behörde auf der Grundlage aktueller Daten ernsthaft und differenziert alle geeigneten Maßnahmen, insbesondere auch Fahrverbote prüfen. Fahrverbote können auch dann angeordnet werden, wenn der gemessene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid 50 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreitet. Die anderslautende Vorschrift des § 47 Absatz 4a Satz 1 BImSchG verstößt insoweit gegen das Unionsrecht, so das Oberverwaltungsgericht Münster.

Aber, so das Oberverwaltungsgericht Münster:

Selbst dann, wenn Fahrverbote die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte sind, muss die zuständige Behörde sie nicht zwingend anordnen. Vielmehr müssen Fahrverbote unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig sein. Von ihnen darf deshalb unter Umständen ganz oder teilweise abgesehen werden. Dabei können folgende Aspekte eine Rolle spielen:

– zeitliche Staffelung der Fahrverbote (z.B. nach Euro 4 und Euro 5),

– Übergangszeitraum, damit Betroffene sich auf eine neue Situation einstellen können,

– gravierende Belange der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft,

– besondere infrastrukturelle Bedeutung eines betroffenen Verkehrsweges ,

– Ausnahmen für bestimmte Gruppen (etwa Handwerker oder Anwohner),

– Ausnahmen für nachgerüstete Dieselfahrzeuge.

Wenn aufgrund der angeordneten Maßnahmen Stickstoffdioxidimmissionen stetig abnehmen, darf auf ein Fahrverbot verzichtet werden, wenn mit ihm – etwa wegen einer notwendigen Vorlaufzeit bei dessen Einführung – die Grenzwerte nur unwesentlich schneller eingehalten werden könnten als ohne es.

Sieht die Behörde von Fahrverboten ab, weil die Grenzwerte nach ihrer Prognose ohnehin kurzfristig eingehalten werden, muss sie allerdings schon im Luftreinhalteplan für den Fall vorsorgen, dass die Prognose sich nicht bewahrheitet. Als Ausgleich für die mit einer Prognose stets verbundenen Unsicherheiten muss ein Luftreinhalteplan vorsehen, dass die Entwicklung der Luftschadstoffwerte regelmäßig kontrolliert wird. Ferner muss der Luftreinhalteplan auf einer zweiten Stufe zusätzliche Maßnahmen wie etwa Fahrverbote für den Fall enthalten, dass die Grenzwerte mit den bisherigen Maßnahmen entgegen der Prognoseerwartung doch nicht schnellstmöglich eingehalten werden. Dass solche gestuften Planungen sinnvoll und möglich sind, zeigt etwa der aktuelle Luftreinhalteplan für die Stadt Mainz.

Der Luftreinhalteplan 2019 für die Stadt Aachen genügt diesen Anforderungen nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster nicht: Die Prognose beruht nicht auf aktuellen, sondern veralteten Daten von 2015.

Fahrverbote wurden nicht hinreichend genau geprüft. Jedenfalls für die Monheimsallee hat sich die Bezirksregierung Köln nicht damit befasst, ob dort der Grenzwert mit einem Fahrverbot nicht schon früher als mit nur den angeordneten Maßnahmen eingehalten werden könnte. Auch hat sie unter anderem nicht berücksichtigt, dass Fahrverbote für Euro 3- und Euro 4-Diesel schon vor dem 01.09.2019 möglich sind. Unabhängig von diesen Fehlern ist der Luftreinhalteplan 2019, so das Oberverwaltungsgericht Münster weiter, rechtswidrig, weil er keine konkreten zusätzlichen Maßnahmen (etwa Fahrverbote) für den Fall enthält, dass die Grenzwerte entgegen der Prognose nicht eingehalten werden.

Daher muss das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Bezirksregierung Köln, den Luftreinhalteplan 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, fortschreiben.

Dies dauert erfahrungsgemäß mehrere Monate. Der planerische Gestaltungsspielraum der Behörde ist nicht dergestalt auf Null reduziert, dass das beklagte Land zu verurteilen wäre, ein Fahrverbot zu einem bestimmten Zeitpunkt zwingend in Kraft zu setzen. Ob es eines Fahrverbotes bedarf, hängt im Wesentlichen von der Entwicklung der Messwerte und einer hinreichend einzelfallbezogenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch die Behörde ab.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 31.07.2019 – 8 A 2851/18

 

  1. VG Aachen, Urteil vom 08.06.2018 – 6 K 2211/15 []

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